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Vorwort zur deutschen Ausgaben
Beim KGB wird unser Mann angebrüllt: "Erzählen Sie mal, in welchen Ländern Sie gelebt haben!" Unser Mann beginnt: "Ich bin in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie geboren. Danach habe ich in Ungarn gewohnt, dann in der Tschechoslowakei, danach erneut in Ungarn, nach dem Ende des zweiten Weltkrieges für kurze Zeit wieder in der Tschechslowakei, und schließlich in der Sowjetunion." Der KGB-Mann schreit ihn wieder an: "Alter Vagabund! Was haben Sie gemacht, dass Sie immer fortgehen mussten?" "Ich habe nie meinen Geburtsort verlassen." "Wo sind Sie denn geboren?" "In Kisszelmenc" - antwortet unser Mann.
Diese ist eine Wanderanekdote, die im ungarischen Sprachgebiet - also auch jenseits der heutigen ungarischen Grenzen - allgemein bekannt ist und wahrscheinlich aus Munkács (Muketschevo) stammt. Man konnte sie im Zusammenhang mit vielen Siedlungen hören, für das kleine Dorf wie Kisszelmenc habe ich sie angewendet. Ich habe damit die Wahrheit nicht verfälscht, sondern ergänzt. Das ungarische Zwillingsdorf war bis 1920 eintausend Jahre lang Bestandteil von Ungarn. Es befand sich im nordöstlichen Komitat Ung, südlich des Komitatssitzes Ungvár (Uschhorod). Danach begann sein abenteuerliches Leben.
Die Auflistung der Wohnorte unseres Mannes aus Kis-szelmenc muss heute damit ergänzt werden, dass er inzwischen Bürger der Republik Ukraine ist, die Ende 1991 als Nachfolgestaat der nach zwei Menschenalter zusammengebrochenen Sowjetunion gegründet worden war. Seine Geschichte ist in diesem Buch zu lesen. Das Gleiche lässt sich auch über seine Geschwister, Verwandten, Freunden, Geliebten erzählen, die im Teil Nagyszelmenc seines Geburtsortes leben - nur etwas anders.
Unser alter Mann aus Nagyszelmenc ist als Untertan der Österreichisch-Ungarischen Monarchie geboren, danach war er Bürger Ungarns, der Tschechoslowakei, und schließlich wurde er nach dem ersten Wiener Schiedsspruch - am 2. November 1938 - erneut ungarischer Staatsbürger.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges trennten sich die Wege: Die Sowjetunion hat ihre Grenzen nach Westen verschoben und mit ihrer neuen Grenze trennte sie Kisszelmenc von Nagyszelmenc. Aus diesem Grunde ist unser Mann aus Nagyszelmenc heute slowakischer Staatsbürger. Kisszelmenc befindet sich in der Ukraine, Nagyszelmenc in der Slowakei und zwischen ihnen verläuft die Staatsgrenze.
Wir müssen uns kurz bei der Geschichte der Gegend verweilen, die man heute Vorkarpaten nennt und die bis zum Friedensvertrag bei Paris im Jahr 1920, der den ersten Weltkrieg abschloss, einfach Ungarn war, genauer Nordostungarn und bestand aus sechs Komitaten. Der größte Teil gehörte zu den Komitaten Ung, Bereg, Ugocsa und Máramaros, ein kleinerer Teil zu Szabolcs bzw. Szatmár. Aus den 1920 an die Tschechoslowakei angeschlossenen Gebieten wurden die Vorkarpaten gegründet. Die Bezeichnung ist nicht historisch, sondern ein Verwaltungs- bzw. politischer Begriff aus dem 20. Jahrhundert. Zwischen den beiden Weltkriegen lagen sie im südöstlichen Teil der Tschechoslowakei und heute am westlichen Rand der Ukraine, westlich der Höhenzüge der Karpaten. Der offizielle Name lautet: Sakarpatska oblast, verwaltungsmäßig sind sie ein Gebiet der Ukraine mit dem Zentrum Ungvár (Uschhorod). Ihr Gebiet hat 12 800 qkm, die Zahl der Einwohner beträgt nach der ukrainischen Volkszählung von 2001 1 Million 254 Tausend, davon sind 151 516 Ungarn. Die anderen Nationalitäten sind: Ruthenen, Ukrainer, Russen, Rumänen, Zigeuner, Weißrussen und Deutsche. Deutsche siedelten sich seit dem 13.-14. Jahrhundert in den Vorkarpaten an, anfangs, um die Verluste der ungarischen Bevölkerung während des Mongolenzuges zu ersetzen, später wurden sie für Waldrodung und Gewerbeansiedlungen gewonnen. Am Ende des zweiten Weltkrieges wurde die Mehrzahl der ungarischen und deutschen männlichen Zivilbevölkerung als Kriegsgefangene in sowjetische Zwangsarbeiterlager verschleppt, wo sehr viele ihr Leben verloren. Den am Leben gebliebenen Deutschen wurde eine Umsiedlung in die Bundesrepublik Deutschland erlaubt. Heute leben etwa 5-600 Deutsche verstreut, sie haben keine eigenen Schulen. Auch die ungarische Bevölkerung geht infolge der Auswanderung wegen Armut und Existenzunsicherheit zurück. Seit der letzten sowjetischen Volkszählung im Jahr 1989 ging die Bevölkerungszahl der Ungarn in den Vorkarpaten offiziell um 5-10 000 zurück, in Wirklichkeit um 25-30 000. Die Statistiken zeigen nicht, dass nach der politischen Wende viele Menschen ihre Nationalität als Ungarn angaben, die davor Angst hatten, dies zu tun. Sie ersetzen die Auswanderer.
Der Rückgang betrifft beide Szelmenc in erhöhtem Maße: nach der Trennung von 1944-1945 wurde aus dem lebendigen Zwillingsdorf ein um Atem ringendes Sackgassendorf, ein wirtschaftliches, kulturelles und seelisches Niemandsland. Nagyszelmenc endet an der sowjetischen - seit 1991 an der ukrainischen - und Kisszelmenc an der tschechoslowakischen - seit 1993 an der slowakischen - Grenze. Die demographischen Zahlen illustrieren gut die Existenz als Sackgassendorf. Kisszelmenc hatte 1910 278, Nagyszelmenc 844 Einwohner, insgesamt 1122. Die Bevölkerung von Kisszelmenc betrug Ende 2007 222, die von Nagyszelmenc 600 Menschen, insgesamt 822. Der Rückgang beträgt 300 Menschen, mehr als die ganze Bevölkerung von Kisszelmenc.
Stalins 1944-45 im Dorf errichteter Eiserner Vorhang bestand auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Berliner Mauer konnte im November 1989 endlich abgerissen werden. Die beiden Szelmenc werden noch heute durch eine Grenze getrennt.
Als ich im September 1994 das Material zu diesem Buch zu sammeln begonnen hatte, ließ ich mich sogleich informieren: Welche Versuche es bis zu diesem Zeitpunkt gab, um zwischen den beiden Zwillingsdörfern, die auch heute fast hundertprozentig von Ungarn bewohnt sind, einen Grenzübergang zu eröffnen. Darüber berichtete ich in der Presse und nahm an den Aktivitäten für die Grenzöffnung als ein Akt der Menschenrechte teil.
Unsere erste sehenswerte Aktion fand am 15. April 2000 anlässlich der Vorstellung dieses Buches statt. Wir baten die ukrainischen und die slowakischen Behörden, der Bevölkerung von Szelmenc für einen Tag anlässlich der Buchvorstellung die Grenze zu öffnen.
Das ist nicht gelungen.
Wir begannen die Buchvorstellung am frühen Vormittag an der Kisszelmencer Seite des Eisernen Vorhanges, aber nicht bei der Grenzwache, sondern auf dem Verwaltungsgebiet des Dorfes mit einem starken Lautsprecher. Die Menschen in Nagyszelmenc verfolgten die Buchvorstellung auf der anderen Seite des Eisernen Vorhanges. Danach machten wir uns auf den Weg und passierten mit einer langen Auto- und Buskarawane die Grenze bei Ungvár-Felsõnémeti (Vy¹né Nemecké). Zwei Stunden später kamen wir an der Nagyszelmencer Seite des Eisernen Vorhanges an und setzten dort die Buchvorstellung fort, die nun von den Menschen aus Kis-szelmenc von der anderen Seite des Stacheldrahtes verfolgt wurde.
Hierauf forderten die Bewohner von Szelmenc am 8. August 2001 in einer gemeinsamen Petition von der Preßburger und der Kiewer Regierung, im Zwillingsdorf einen Grenzübergang für Fußgänger zu eröffnen. Das Innenministerium in Preßburg wies die Petition wegen angeblicher formeller Fehler zurück; von einer Antwort Kiews weiß ich nichts.
Zwei Jahre später, am 18. Oktober 2003, stellten die Bewohner von Szelmenc an der Staatsgrenze ihres Dorfes ein durchgeschnittenes Szeklertor auf. Die eine Hälfte des Tores steht in der Slowakei die andere in der Ukraine. Anlässlich dieser Toreinweihung entstand das Foto auf dem Buchumschlag. Die Bevölkerung des Dorfes bat auch für diesen Tag um eine Grenzöffnung. Dem Gesuch wurde auch diesmal nicht entsprochen.
Inzwischen wurde die Nachricht von der groben Verletzung der Menschenrechte der Bevölkerung von Szelmenc in der internationalen Presse bekannt. Dank der Ausdauer und der gut organisierten Arbeit hielt die Menschenrechtsfraktion des Kongresses der Vereinigten Staaten am 21. April 2004 in Washington eine Anhörung über die Grenzöffnung zwischen Nagy- und Kisszelmenc ab. Zur Anhörung wurden die Bürgermeister von Kisszelmenc und Nagyszelmenc sowie der Verfasser dieser Zeilen als Experten eingeladen. Die drei Un-garn sind mit Pässen drei verschiedener Staaten am Ronald Reagen Washington National Airport angekommen. Bei der Anhörung, die vom demokratischen Kongressabgeordneten Diane E. Watson aus Los Angeles geführt wurde, waren unter anderen der Washingtoner Botschafter der Slowakei, der politische Berater der ukrainischen Botschaft sowie Vertreter der amerikanischen, europäischen und ungarischen Presse anwesend. Das Washingtoner Ereignis erzeugte für die Szelmencer Grenzöffnung einen gewaltigen Schub. Auch das Europäische Parlament und der Europarat beschäftigten sich damit. Am 7. Dezember des gleichen Jahres hielt auch der auswärtige Ausschuss des ungarischen Parlaments eine Anhörung, bei der ich die Sache der Szelmencer Grenzöffnung vortrug. Davor wurde am 1. Mai 2004 aus dem stalinistischen Eisernen Vorhang, der das Zwillingsdorf trennte, ein Goldener Vorhang der Europäischen Union. Der Dorfrand von Nagyszelmenc bildet seitdem die östliche Grenze der Europäischen Union.
Dank dem internationalen Druck beschlossen die Slowakei und die Ukraine zu Beginn des darauffolgenden Jahres endlich, in Szelmenc einen Grenzübergang für Fußgänger und Fahrradfahrer einzurichten. Auch das Datum wurde benannt: 10. September. Am Tag davor um halb neun baute die ukrainische Grenzwacht den Teil des Eisernen Vorhangs ab, und baute auf der einzigen Hauptstraße der beiden Dorfteile eine Grenzstation in einfacher Ausführung auf. Der Eiserner Vorhang ist anderswo geblieben: Wachtürme, Stacheldraht, elektronische Signalanlagen, Grenzstreifen.
Die Grenzöffnung am 10. September kam aber nicht zustande. Es gab eine Verzörung, alles wurde ins Schweigen gehüllt, man wusste von nichts. Und urpötzlich wurde am 21. Dezember 2005 verkündet, dass der Übergang einen Tag vor Weihnachten, am 23. Dezember, geöffnet werde.
Die Geschichte erzählt vom enormen Ausmaß der Kleinlichkeit der ostmitteleuropäischen Kleinstaaten, der Sieger und der Pseudosieger. Man musste bei der einzigen Hypermacht der Welt Klinken putzen, um das Leben eines Dorfes, das gar keine strategische Bedeutung hat, zu erleichtern. Auch wenn die Ukraine so groß ist, in dieser Sache ist sie nur ein riesiger Kleinstaat, nichts anderes.
Die Szelmencer Grenze der Europäischen Union ist von morgens acht Uhr bis abends acht Uhr für zwölf Stunden geöffnet. Aber im Reich der Absurdität gelingt nicht alles so, wie das hinter den herauntergelassenen Jalousinen der weit entfernten Büros ausgedacht wird. In Kisszelmenc geht die Uhr nach Kiew. Wenn der Zeiger acht Uhr zeigt, schlägt die Glocke in Nagyszelmenc sieben. Auch wenn unser Mann für einen Augenblick vom Verhör freigestellt wurde, kann er zwar die Ukraine verlassen, darf aber nicht die Slowakei betreten. Am Abend spielt sich das Gleiche ab, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Aus diesem Grunde wurde aus den zwölf Stunden nur zehn. Nach viel Hin- und Her stellten die Behörden ihre Uhren gleich: die Szelmencer Zeit wurde geboren.
Diese besondere Zeit bringt uns neue Absurditäten. Man braucht von Kisszelmenc nach Nagyszelmenc ein Visum. Bis zum Inkrafttreten des Schengener Abkommens, bis Weihnachten 2007, war ein Visum sowohl in die Slowakei als auch nach Ungarn kostenlos. Die Ungarn in Kisszelmenc wollten lieber ein ungarisches Visum, weil dieses für ein halbes Jahr gültig war und für mehrere Besuche galt. Mit dem slowakischen Visum durfte man nur einmal nach Nagyszelmenc gehen und in dem dünnen ukrainischen Pass beanspruchte es eine ganze Seite. Ein Reisepass ist aber teuer, er kostet fast das Monatsgehalt eines einfachen Verdienstes - in einer Gegend, wo die Arbeitslosigkeit achtzig bis neunzig Prozent beträgt. Deshalb beantragten die Ungarn aus Kisszelmenc bis November 2007 lieber ein ungarisches Visum für einen Besuch ihrer Verwandten in der Slowakei. Die Behörden haben aber eine Vorschrift erlassen, dass ein ungarisches Visum in der Slowakei ein Transitvisum sei. Die Ungarn aus Kisszelmenc wurden aus diesem Grunde, nach dem sie die Grenze zu Fuß passiert hatten, von der Gemeindeverwaltung in Nagyszelmenc kostenlos mit einem Bus fünfzig bis sechzig Kilometer weiter zur slowakisch-ungarischen Grenze gefahren, wo sie am Rande einer ungarischen Kleinstadt, Sátoraljaújhely, nach Ungarn "transitiert" wurden. Sie sind eine halbe Stunde an der ungarischen Seite der Grenze spazieren gegangen und dann sind sie zurück zur die slowakischen Grenze gegangen. In ihre Reispässe wurden die notwendigen Stempel aufgedrückt und der Bus konnte sich mit ihnen dahin zurückeilen, wo er sie aufgenommen hat. Es war schon Nachmittag, als sie endlich ihre Verwandten sehen konnten. Wer nicht "transitiert" hat, musste mit einer hohen Geldstrafe rechnen.
Welche absurden Geschichten birgt die Zukunft für Szelmenc?
Man kann das vorläufig noch nicht erkennen.
Im Straßen- und Schienenverkehr wird damit gerechnet, dass die Europäische Union die größten Schwierigkeiten an der Grenze zur Ukraine haben wird. In Polen, Ungarn und der Slowakei trat Ende 2007 gleichzeitig das Schengener Abkommen in Kraft. Die Vorkarpaten grenzen an alle drei Länder und pflegen enge Beziehungen zu ihnen. Es wäre eine Lösung, wenn der kleine Grenzverkehr wiederhergestellt worden wäre. Das würde bedeuten, dass man in der fünfzig Kilometer breiten Grenzzone mit einem Visum für zwanzig Euro einreisen und sich aufhalten könnte.
Es gibt darüber Verhandlungen zwischen der Slowakei und der Ukraine bzw. zwischen Ungarn und der Ukraine. Es gibt aber noch keine Vereinbarungen. Wenn es ratifizierte Verträge geben wird, muss man anschließend darüber sprechen, ob die Zone von fünfzig Kilometern zwischen den beiden Ländern der Union, zwischen Ungarn und der Slowakei, bedeutete, dass man mit dem kleinen Grenzvisum in einer Tiefe von fünfzig Kilometern auch innerhalb der beiden Ländern - von Ungarn in die Slowakei und von der Slowakei nach Ungarn - reisen könnte. Dass müssen diese beiden Länder entscheiden.
Wenn das nicht erreicht werden kann, dann wird die Grenze der Union durch das Zwillingsdorf Szelmenc schwieriger zu passieren sein als Stalins einstiger Eiserner Vorhang.
Die Fakten sprechen dafür, dass kaum zwei Jahrzehnte nach der politischen Wende das Einstige wieder hergestellt wird: Das Ziel der Ämter und Behörden ist das gleiche - das Leben der Menschen zu erschweren. Vor der Wende legte der diensttuende Soldat oder Polizist das Gesetz nach eigenem Gutdünken aus, so wie auch die Ämter und Behörden folgenlos die Gesetze zum Schaden der Menschen verletzen konnten.
Heute ist das wieder so.
Das Bezirkszollamt von Nagymihály im Bezirk von Kaschau (Kassa, Ko¹ice) in der Slowakei, das für Nagyszelmenc zuständig ist, beförderte sich zum Gesetzgeber und ließ in eigener Kompetenz ab 1. Januar 2008 einige Veränderungen in Kraft treten. Nach dem Beschluss des Bezirkszollamtes gab es ab dem 1. Januar 2008 eine fünfzehn Kilometer breite Grenzzone. Wer innerhalb der Zone wohnte, zum Beispiel in Nagyszelmenc, durfte im Sinne des Bezirksgesetzes von der ukrainischen Seite, zum Beispiel aus Kisszelmenc bei einem Übergang auf einmal nur eine Schachtel Zigaretten und 0,25 Liter Schnaps mitbringen, und das auch erst nach Ausfüllen einer Zollerklärung und monatlich höchstens eine Stange. Dagegen durften die Einwohner außerhalb der Zone bei jedem Grenzübergang aus der Ukraine in die Slowakei eine Stange Zigaretten mitnehmen.
Dazu muss man wissen, dass bei der Armut in der Ostslowakei auch diese Mengen existenziell wichtig sind, entweder wenn man sich selbst für das Rauchen und Trinken die Sachen billiger besorgt, oder wenn man sie verkaufen will.
Man muss auch wissen, dass an der ostslowakischen Grenze dieser fünfzehn Kilometer breite Streifen derjenige ist, wo die Ungarn leben, die genau den gleichen Reisepass haben wie die slowakischen Staatsbürger außerhalb der Zone. Die diskriminierende Verordnung des Bezirkszollamtes war bis zum 1. Dezember 2008 in Kraft, dann wurde das lokale, die Verfassung aufhebende Gesetz aufgehoben und bald wurde eine neue Rechtsungleichheit geschaffen: Im Frühjahr 2009 entschieden die slowakischen Grenzschützer in Nagy-szelmenc nach eigenem Ermessen, dass die Ungarn aus Kisszelmenc, in deren Reisepass ein vom Hauptkonsulat der Republik Ungarn in Ungvár ausgestelltes, für das ganze Gebiet der Europäischen Union gültiges Schengener Visum steht, nicht in die Slowakei, d. h. nach Nagyszelmenc gelassen werden, nur dann wenn sie eine Einladung aus Ungarn vorweisen können oder dann, wenn an der slowakischen Seite der Schranke ein ungarischer Staatsbürger sie erwartet, der zeigt, dass sein Auto auf dem Parkplatz steht und er den Ungarn aus Kisszelmenc sofort aus der Slowakei nach Ungarn bringt. Der Ungar aus Kisszelmenc, dessen Visum das slowakische Hauptkonsulat in Ungvár ausgestellt hat, kann einfacher die Schengener Grenze seines Geburtsortes betreten, um seine Verwandten und Freunde zu besuchen. Man kann aber die Spitzfindigkeit umgehen, wenn man einen Umweg in Richtung Ungarn macht. Man fährt Richtung Süden, kommt aus der Ukraine nach Ungarn, und nachdem er Schengenien betreten hat, kann er den Weg nach Norden ohne Hindernis antreten und kommt in sein Heimatdorf zurück, in dessen slowakischen Teil.
Statt fünfzig Meter mit einem Umweg von sechzig-achtzig Kilometern.
So wie früher.
Einst träumten die Einwohner von West-Szelmenc und Ostszelmenc davon, dass bei ihnen ein internationaler Grenzübergang eröffnet wird, um ihr Schicksal zu erleichtern.
Im Zwillingsdorf ist das Leben bunt! In den knapp zwanzig Jahren nach der Wende gab es sechs verschiedene Währungen. Im ukrainischen Dorfteil folgten auf den (sowjetischen) Rubel der inflationäre Kupon und dann die Griwna. Im slowakischen Dorfteil folgte auf die tschechoslowakische Krone die slowakische Krone, die seit dem 1. Januar 2009 vom Euro abgelöst wurde. Bei seiner Einführung wurden die Preise ein bisschen nach oben gerundet, alles wurde ein biss-chen teurer. Und das Auskommen wird immer schwieriger.
Das Jahresbudget von Nagyszelmenc wurde Anfang 2009 mit 26.555 Euro erhöht, es betrug 149.372 Euro. Aber diese Summe wurde wegen der Wirtschaftskrise sofort um 11.950 gesenkt. So ist auf dem Papier die Budgetsumme höher als 2008, aber weniger als geplant. Die monatlich fälligen Teile dieser geminderten Summe treffen nur zögerlich auf das Konto ein, sie bekommen nicht den ganzen Betrag. Die eigenen Einnahmen des Dorfes decken bereit die Bauarbeiten der Selbstverwaltung; was auch der geöffneten Grenze zu danken ist.
Hilfen könnten in dieser Situation die Ausschreibungen der Union helfen, aber die ungarischen Gemeinden haben keine große Chance, Gelder der Union zu bekommen. Bei einer gewonnen Aussschreibung gewährt der slowakische Staat zwanzig Prozent der Ausschreibungsbetrags, aus der EU kommen fünfundsiebzig Prozent und fünf Prozent muss die teilnehmende Gemeinde tragen. Aber die Bewerbungen der ungarischen Gemeinden kommen nur schwer über das zuständige Ministerium in Pressburg (Pozsony, Bratislava) hinaus.
Die mit der Grenzöffnung einhergehende Modernisierung erreichte auch Kisszelmenc. Im Dorf wurde eine Straße gebaut und auf die Laternen wurden Energiesparleuchtröhre angebracht. Die Sparsamkeit erwies sich aber sehr teuer. Da das Netz und die anderen Einrichtungen nicht erneuert wurden. Wegen der häufigen Schwankung der Stromstärke und der im Wind sich berührenden Leitungen gehen die empfindlichen sparsamen Leuchtkörper kaputt; ihr Ersatz ist sehr teuer. Die Verschwendung ist billiger! Wenn man nämlich bei einer veralteten Technik veraltete Leuchtkörper verwendet.
Nach Kisszelmenc und in die umgebenden, zum Leben erwachenden Siedlungen in den Vorkarpaten, in den von Ungarn bewohnten Streifen der Westukraine, führt der Weg nicht nur über Nagyszelmenc, sondern auch von Dobóruszka, das in der Nähe liegt. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde auch dieser Weg mit dem sowjetischen Eisernen Vorhang abgesperrt, dessen verrostenden Trümmer noch heutzutage zu sehen sind, wenn man aus der Slowakei, aus dem Dorfrand von Dobóruszka in die Ukraine, nach Kisszelmenc glotzt. Heute bewahrt die Spitzentechnik der Europäischen Union, Kameras, automatische Nachsichtgeräte, kreuz gelegte Betonpfeiler die Unveränderlichkeit, die ökonomische Auszehrung. Obwohl sich die Region trotz der Grenzen, über die Grenzen hinaus, entwickeln will.
Initiatoren aus der Selbstverwaltung und anderer Personen in beiden Staaten kämpfen seit Jahren dafür, hier, an der Schengener Grenze, einen Grenzübergang für den Autoverkehr zu eröffnen. Ihr Kampf gegen die beiden jungen Staaten, die Slowakei und die Ukraine, scheint hoffnungslos zu sein. Aus der Ukraine kommen die gewöhnlichen "In Ordnung"-Antworten, und die slowakische Regierung schweigt.
Es wird aber nicht so bleiben.
Ein neues Kapitel der unendlichen Geschichte wird über die Eröffnung des Grenzübergangs in Dobóruszka berichten.
Budapest, zu Ostern 2009
Der Autor
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde auch die Bezeichnung Wilsonovo mesto Pre¹porek verwendet.
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