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Gespräch mit einem vertriebenen Sudetendeutschen

Erstveröffentlichung des Interviews in ungarischer Sprache in "Magyar Hírlap", Montag, 5. Nov. 2007, Seite 7. - Die hier dargebotene deutsche Übersetzung des ungarischen Textes besorgte Prof. Dr. Peter Balla, der zuvor die Übertragung des am 05. Oktober 2007 in deutscher Sprache geführten Interviews ins Ungarische vorgenommen hatte.

Horst Rudolf Übelacker erlebte als 9-jähriges Kind die Vertreibung/Aussiedlung der 3,5 Millionen Deutschen aus dem Sudetenland. Er lebte damals in Aussig an der Elbe - heute tschechisch: Usti nad Labem. In Deutschland geriet er zuerst in die sowjetische, dann in die britische Zone. Nach seinen Studien arbeitete er im Bankbereich; 2001 ging er in München als Bundesbankdirektor in Pension. Er lehrt Finanzwissenschaften an deutschen und ukrainischen Universitäten. In der jüngsten Vergangenheit hielt er Vorlesungen an der Károli Gáspár Reformierten Universität - hier haben wir miteinander gesprochen.

- Wie ist die Vertreibung durchgeführt worden?

- Wir wurden kurzfristig aufgefordert, uns am Marktplatz zu sammeln. Ich ging mit meiner Mutter - da mein Vater im Krieg war. Zuvor schon geriet er in französische Gefangenschaft, und starb dort 1946. Das alles wussten wir damals aber noch nicht. Unsere Familie stammt nicht aus Aussig, sondern ich wurde in Karlsbad geboren.

- Heute ist es eher als Karlovy Vary bekannt...

- Ja, genau. Dort wurde ich 1936 geboren, aber während der Vertreibungszeit lebten wir in dieser anderen Stadt, in Aussig. Die Stadt liegt ca. 50 Km südlich von Dresden an der Elbe. Also ist sie keine Grenzstadt, aber sie ist auch nicht fern von der Grenze. Hier bin ich aufgewachsen, hier ging ich in die Schule, und von hier wurde ich vertrieben. Unsere ganze Strasse - die Bewohner aller Häuser - wurden zum Marktplatz befohlen, mit einem Handgepäck - maximal 30 kg Gewicht durften mitgenommen werden. Dort mussten wir alles Gepäck auf große Tische legen. Alles wurde durchsucht und die wertvollen Sachen wurden weggenommen. Wenn z.B. jemand ein Banksparbuch oder eine Armbanduhr bei sich hatte, wurden diese konfisziert. - Wir mussten zum Bahnhof gehen und in offene Viehwaggons einsteigen. Es befanden sich etwa 40-50 Leute in jedem Waggon. Wir fuhren, aber wir wussten nicht, wohin. Wir waren 14 Tage unterwegs in diesen offenen Viehwaggons, manchmal bei heißer Sonne, manchmal im Regen und in kalter Nacht. Der Zug fuhr sehr langsam. Wir fuhren nordwärts, weiter als Berlin. In jeder Stadt, aber auch in Dörfern wurden Waggons einfach abgekoppelt. Der dortige Bürgermeister und die dortigen Leute mussten entscheiden, wen sie wo unterbringen konnten. Auch die lokale Bevölkerung war erschöpft vom Krieg - sie hatten selbst nichts zu Essen, und dann sollten sie auch noch andere aufnehmen und ernähren. Wir verbrachten einige Monate in der sowjetischen Besatzungs-Zone in Mittel-Deutschland. Dann konnten manche nach Niedersachsen überwechseln, in die britische Zone. Diejenigen, die das machen konnten, waren sehr froh.

- Das Prinzip der kollektiven Bestrafung wurde gesetzlich bestätigt durch die Tschechei und die Slowakei.

- Ja, wir - wie auch die Ungarn - wurden bestraft auf Grund der nationalen Zugehörigkeit, und gemäß den Anordnungen der Benesch-Dekrete. Ich als 9 jähriges Kind und meine Mutter hatten niemandem etwas angetan. Jetzt, da das Parlament in Pressburg die Benesch-Dekrete bestätigt hat, kamen die Dekrete und Gesetze von 1945 und 1946 wieder ins Scheinwerfer-licht, in Ungarn wie auch in den Gremien der EU. Die Ungarn sollten nicht vergessen, dass die Benesch-Dekrete auch in Prag in 2002 bestätigt wurden - noch vor dem Beitritt zur EU! Sie haben abgestimmt, dass "die Benesch-Dekrete integrale Bestandteile der tschechischen Rechtsordnung bleiben, dass aber keine neuen Rechtstatsachen aus ihnen folgen sollen und dass sie heute nicht mehr angewandt werden können". Darauf folgte nun die Bestätigung in Pressburg.

- Will die Tschechische Republik sich mit der Rückgabe der weggenommenen Güter ebenfalls nicht beschäftigen?

- Die Tatsachen weisen in diese Richtung, obwohl - als Rechtsnachfolger der Tschechoslowakei - auch die Tschechische Republik verantwortlich ist für die weggenommenen Besitztümer. Die Verpflichtung geht auf den Nachfolgestaat über. Ich spreche nicht von denjenigen weggenommenen Besitztümern, die in den vergangenen Jahrzehnten in Privateigentum übergegangen sind, sondern von solchen, die in staatlichem Eigentum geblieben sind.

- Wie gross sind diese?

- Es wird geschätzt, dass etwa 70 Prozent des enteigneten Grundvermögens sich auch heute noch in staatlichem Besitz befinden. Es sind Felder, Wälder und Gebäude, die den vertriebenen Sudetendeutschen gehörten und die heute im Eigentum der Tschechischen Republik, also nicht im Privateigentum stehen. Rechtlich wäre es jederzeit möglich, diese zurückzugeben. Vorhanden sind die Beweise der originalen Eigentumsverhältnisse, die Grundbücher, die auch die ursprünglichen Eigentümer angeben. Wenn der originale Eigentümer verstorben ist, ist die Sache damit noch nicht erledigt. Das Eigentum gehört dann den Nachkommen. Eigentumsrecht und Erbrecht werden in der EU garantiert. Ansonsten sind viele Prozesse im Gang, etwa von der Seite des tschechischen Adels gegenüber dem tschechischen Staat. Sie fordern ihr ehemaliges Eigentum zurück. Sie werden abgewiesen. In einigen Fällen wurden ihre Rechte in der CR anerkannt, aber trotzdem wurde ihnen nichts zurückgegeben. Es gibt auch einige Prozesse von der Seite der Sudetendeutschen. Das Europäische Gericht für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg hat schon 143 solcher Anträge abgewiesen, u. a. mit der Begründung, dass das Menschenrechtsgericht in Strassburg erst später gegründet wurde, als dieses Problem bereits entstanden war. Also sagt dieses Gericht, dass es nicht zuständig ist.

- Hat auch die Übelacker-Familie Immobilien in Usti nad Labem zurückgelassen?

- Nein, wir hatten kein eigenes Haus und keine Felder.

- Und was könnte die Praxis sein? Würde jemand, der Vermögen zurückbekäme, von Deutschland in die Tschechei zurücksiedeln?

- Es gibt mehrere Standpunkte. Es gibt solche Leute, die sich mit dieser Frage nicht mehr beschäftigen möchten. Sie sagen: Ich gebe es denjenigen Tschechen, die darin wohnen. Ein konkretes Beispiel: Dr. Hilf hatte vor Jahren aus München an Präsident Vaclav Havel geschrieben: "Ich verzichte hiermit auf mein Eigentum und gebe es entweder dem Tschechischen Staat oder dem, der darin wohnt." Präsident Havel hat sich für den Brief bedankt, aber hat Dr. Hilf darauf aufmerksam gemacht, das er nicht verschenken kann, was ihm nicht gehört. Also wurde selbst der Eigentumsverzicht nicht angenommen! - Es gibt wiederum solche, die zurücksiedeln würden. - Und es gibt eine dritte Gruppe: Leute, die das zurückbekommene Vermögen vermieten würden an die Leute, die darin wohnen oder an die Institutionen, die darin tätig sind. Oder, sie würden es verkaufen, wenn die Preise steigen.

- Gibt es auch unter den jungen Leuten solche, die zurücksiedeln möchten?

- Der größere Teil der heutigen jungen Generation ist "Europäer" - sie "denken in europäischen Dimensionen". Sie siedeln ziemlich einfach in ein anderes Land um. So könnten sie sogar in die Tschechei gehen, besonders, wenn es sich herausstellt, dass sie auch Vermögen dort haben.

- Herr Übelacker, im Alter von 9 Jahren wurde Ihnen großes Unrecht angetan. Wollen Sie dies vielleicht mit juristischen Mitteln heilen?

- Eine berechtigte Frage. Nein, ich will keine Rache. Ich will niemandem "zurückzahlen", was uns angetan wurde. Aber ich möchte dringend eine rechtliche Regelung erreichen.

- Haben Sie Kinder?

- Drei.

- Waren sie schon im Sudetenland zu Besuch?

- Ich selber reise nicht hin, weil ich schon im Jahr 1967 ein Buch über das Münchener Abkommen und dessen Folgen geschrieben hatte. Es ist vielleicht besser, wenn ich nicht hinfahre. Meine Kinder wissen genau um Alles, aber auch sie waren noch nicht dort.

- Halten sie sich für Sudetendeutsche?

- Ja. Sie freuen sich darüber, dass ich mich mit dieser Zeit beschäftige. Sie alle laufen ihre eigenen Lebensbahnen, aber wir leben in einer großen, gemeinsamen Tradition. Meine Enkelkinder singen sogar alte Lieder, in denen auch Julischka und Budapest erwähnt sind. Meine Frau und ich sind nach Linz umgezogen, weil sie Österreicherin ist. Sie sagt oft, dass sie auch Protestantin ist! In Österreich gibt es nur wenig Protestanten. Ich würde die Familie meiner Frau als österreichische Patrioten bezeichnen. Natürlich ist auch die Monarchie, also die "K.u.K."-Zeit - aber auch noch frühere Zeiten - nicht unbekannt. Einst war all dies ja ein Land - zusammen mit dem Sudetenland.

Ursprünglich Brief